Auf der Netzwerktreffen mit anschließender Cryptoparty vom 13.8.2013 hat Daniel Senff ein 5 minütiges Statement für die Piraten gehalten, das versucht den aktuellen Stand der Diskussion in der Partei angesichts der Abhörskandale zu formulieren. Dieses Statement ist als Einzelmeinung zu betrachten und bildet nicht zwangsläufig die Meinung aller Piraten Treptow-Köpenicks ab.
Wenn man heute über sichere Kommunikation spricht und dabei auf das Thema Kryptografie kommt, so sind in der Diskussion zwei Aspekte zu bedenken.
Der technische Aspekt ist, dass Verschlüsselung viel Verständnis von der Materie einfordert und mit Aufwand verbunden ist. Der soziale Aspekt stellt die Frage nach Verantwortung – sich und anderen gegenüber – und nach der eigenen Mündigkeit durch freie Kommunikation.
Vor 20 Jahren wurde dafür gestritten, dass harte Kryptografie frei eingesetzt werden kann und der Staat die Technologien nicht unterdrücken darf. 20 Jahre lang war das Credo in der Crypto-Community: „Eure Kommunikation ist unsicher, ihr müsst verschlüsseln!“ Dieser Aufruf erreichte jedoch nicht die Masse der Menschen. Heute beginnt die Debatte gerade in die nächste Phase überzugehen. Aus dem Streit um das Recht zur Verschlüsselung wird die Forderung nach einer Gesellschaft und einem Staat, vor dem nicht verschlüsselt werden muss.
Innenminister Friedrich erklärte kürzlich in einem Interview, dass der Staat die sichere Kommunikation nicht mehr gewährleisten könne. Es sei eines jeden eigene Verantwortung sichere Dienste zu benutzen und Verschlüsselung einzusetzen. Jeder ist auf sich allein gestellt! Verschlüsselung wird damit zur Bürgerwehr. Kryptografie wird Selbstverteidigung. Bereits heute wird der Einsatz von Kryptografie vom Gesetzgeber verlangt. So beispielsweise im Rahmen der Störerhaftung bei WLAN-Netzen, bei denen der Betreiber Sorge tragen muss, sich das nötige technische Wissen anzueignen um das Netz zeitgemäß zu sichern. Hier stellt sich die Frage welcher Aufwand, welches Know-how man einem jedem Menschen zumuten kann um frei zu kommunizieren.
Verschlüsselung ist eine Technologie, die viel Verständnis erfordert und Werkzeug, dessen Nutzen Verbreitung finden sollte. Zu oft ist es jedoch ein Hilfsmittel ohne gute Anleitung. Aus diesem Anlass sind wir auf dieser Veranstaltung, um in das Thema einzuführen und praktisch zu zeigen, was hinter dem großen Wort Kryptografie steckt.
Es gibt viele gute Gründe zur Kommunikationsverschlüsselung. Letztlich dient Privatsphäre dem Schutz des Individuums. Angst vor dem Staat sollte kein Grund sein Verschlüsselung betreiben zu müssen. Wir Piraten haben schon seit einiger Zeit den Aufruf: „Transparenter Staat, statt Gläserner Bürger“. Was wir stattdessen befürchten, ist eine Informationsasymmetrie. Wenn der Staat Angst vor seinen Bürgern hat, diese ausspäht, sich aber selber der transparenten Kontrolle entzieht, haben wir ein Demokratieproblem.
Der Staat sagt uns im Grunde genommen nach den Worten von Patrick Breitenbach:
“Ihr, mein Volk, seid zunächst einmal alle grundsätzlich verdächtig. Ich, der Staat, misstraue jedem von euch. Ich, der Staat, will alles von euch wissen, bin aber selbst im Gegenzug nicht dazu bereit dir mein Inneres zu offenbaren.”
Du selbst bist ja sauber.
Du hast ja nichts zu verbergen – wie langweilig!
Aber welches Vertrauen haben die Menschen untereinander in einer Gesellschaft, wo der Staat meint dein Nachbar muss überwacht werden?
Und dies ist nur der erste Schritt: Bisher reden wir nur über Überwachung, also Lesezugriff auf unsere Daten. Aber die Technologien können mehr, Schreibzugriff und Manipulation sind möglich, was die Offenlegung des Bundestrojaners gezeigt hat.
In einer Gesellschaft, die geprägt ist von gegenseitiger Paranoia und Angst, ist Demokratie nicht möglich. Überwachung schafft eine Schere im Kopf. Echte Diskussion geht nur, wo Menschen einander vertrauen können und im Meinungsaustausch gemeinsam Wahrheit suchen. Dies drohen wir zu verlieren und gilt es zu verhindern.
Letztlich geht es um die Mündigkeit eines jeden Einzelnen. Unsere Mündigkeit steht auf dem Spiel. Dabei gilt es auch Elitenbildung zu verhindern, weil nicht von jedem eigenverantwortliche Verschlüsselung erwarten darf. Auch Menschen, die keine Möglichkeit zum Einsatz von Kryptografie haben, sollen nicht befürchten müssen Opfer staatlicher Massenüberwachung zu werden. Unser Ziel ist Teilhabe eines Jeden in einer freien Gesellschaft. Kryptografie ist Selbstverteidigung des Einzelnen, aber keine Lösung. Was es braucht, ist gesellschaftlicher Wille und Parteien, die Rückgrat beweisen, auch außerhalb von Wahlkampfzeiten für so eine Gesellschaft zu kämpfen.
Zweite Paar Augen: Michael Böttcher, Nora König, TIno Samland