Einmal im Jahr wird im Bezirk die Bezirksmedaille an Ehrenamtliche verliehen. Im Kriterienkatalog wurde bisher auch der Verdienst um die Religion geführt. Diese wurde nun auf unseren Änderungsantrag hin gestrichen. Religion sollte kein Kriterium für die Vergabe einer Medaille seitens der BVV sein.
Die CDU hat dies jedoch so aufgefasst, dass religiöse Bürger nicht mehr für ihr Engagement geehrt werden können und informierte den stellvertretenden Superintendenten des evangelischen Kirchenkreises Stadtmitte hierüber. Diese Tatsache ist falsch. Das Engagement wird weiterhin geehrt. Die Religiösität des einzelnen ist Privatsache.
Ein sachlich falscher Artikel hierzu erschien in der BZ: “Seit wann passt Religion nicht mehr zu Kreuzberg”
Eine bessere Darstellung liefert der Artikel im Tagesspiegel: “Religionsstreit in Kreuzberg”
Einen sehr guten Kommentar gibt es auf dem Christlichen Medienmagazin: Angst vor den Religionsjägern
Auch das BVV-Büro hat mit einer Gegendarstellung reagiert.
Wir haben mit einem Brief an den Kirchenkreis selbst reagiert:
An den
Evangelischen Kirchenkreis
Berlin Stadtmitte
Sehr geehrter Herr Storck!
Über das Büro der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg erhielten wir Kenntnis von Ihrem Schreiben vom 15.7.2013 an die Bezirksvorsteherin Frau Jaath.
Im Zusammenhang mit der, von unserer Fraktion beantragten und von der BVV am 27.2.2013 beschlossenen Änderung der Geschäftsordnung zur Verleihung der Bezirksmedaille formulieren Sie die Befürchtung, dass Mitglieder Ihres Kreises, sowie anderer Konfessionen künftig von der Verleihung der Medaille ausgeschlossen sein könnten.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Auch weiterhin enthält die Geschäftsordnung alle erforderlichen Kriterien, um Bürgerinnen und Bürger unseres Bezirks für ihr Engagement in vielen sozialen, kulturellen und anderen gesellschaftlichen Bereichen mit der Bezirksmedaille zu ehren – und zwar unabhängig davon, ob sich dieses Engagement unter dem Dach eines weltlichen oder geistlichen Trägers, individuell oder im Rahmen einer Gruppe oder Gemeinschaft vollzieht.
Mit der Bezirksmedaille soll gemeinwohlorientiertes und aktiv gestaltendes ehrenamtliches Engagement über einen längeren Zeitraum in Gesellschaftsbereichen wie zum Beispiel Jugend und Familie, Kultur, Soziales, Umwelt, Entwicklung, Innovation oder Wirtschaft geehrt werden.
In der aktualisierten Geschäftsordnung wurde lediglich das Wort „Religion“ in der Liste der Gesellschaftsbereiche gestrichen, weil es in dieser Nennung kein hinreichendes Kriterium für ehrenamtliches Bürgerengagement darstellt.
Bei der während der o.g. Bezirksverordnetenversammlung gehaltenen Rede unseres Fraktionssprechers und dem Hinweis, dass Deutschland ein laizistisches Land sei, handelte es sich um einen Versprecher, der unmittelbar vom Redner korrigiert wurde. Die Behauptung, dass Religion nicht zu Friedrichshain-Kreuzberg passe, ist weder von unserem Redner noch von einem Vertreter anderer Fraktionen geäußert worden. Auf eine Anfrage Ihrerseits hätten wir Sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt ausführlich und wahrheitsgemäß informiert, wir bedauern, dass dies durch die von Ihnen genannte Quelle offensichtlich nicht geschehen ist.
Wir stehen Ihnen aber auch jetzt gern für Rückfragen zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Danke für die Klarstellung. Aus Interesse: Wie sähe ein Engagement aus, das nach den früheren Kriterien hätte geehrt werden können, nun aber nicht mehr geehrt werden kann. Ich habe zugegebenermaßen Schwierigkeiten mir ein Betätigungsfeld vorzustellen, das alleine und nur religiös ist und nicht auch entweder sozial, kulturell, friedensfördernd o.Ä.
Ein Beispiel, an was Ihr dabei gedacht habt, würde mir beim Verständnis sehr helfen.
Vielen Dank
Es sollen keine missionarischen Tätigkeiten geehrt werden. Wer zB 150 Menschen dazu bringt in seine Glaubensgemeinschaft einzutreten, wird nicht geehrt. Wenn aber zB ein Pfarrer, Imam oä mit Jugendlichen unterschiedlichster Kulturen eine interreligiöse Anti-Rassismus-Konferenz oä organisiert, dann kann eine Bezirksmedaille dafür verliehen werden.
Ich hoffe das Beispiel hilft ein wenig beim Verstehen.
LG
Felix J Just
Genau diese Haltung ist doch aber das Problem! Mit dem Slogan „Religion ist Privatsache“ wird der Eindruck erzeugt, dass der Religion keine öffentliche Bedeutung zukomme. Dabei sind doch die Integrationsprobleme, mit denen wir in Berlin zu kämpfen aufs engste verbunden mit unterschiedlichen religiösen Vorstellungen, die sich in jeweiligen kulturellen Ausdrucksformen äußern. Warum sollte nicht jemand geehrt werden, der sich für eine interkulturelle Verständigung zwischen Islam und Christentum einsetzt? Handelte sich bei einem solchen Engagement bloß um etwas Privates? Im Versuch der Verdrängung der Religion(en) aus dem öffentlichen Raum, der mit dieser Dethematisierung einher geht, zeigt sich die Piratenpartei als inkompetent in religionspolitischen Fragen. Vielleicht sollte die Fraktion bei der SPD Nachhilfe nehmen und sich das im Jahr 2000 erschienene Büchlein „Religion ist keine Privatsache“ (hg.v.Wolfgang Thierse) einmal genauer ansehen.
Und außerdem: Niemand würde für seinen Missionierungserfolg geehrt werden, weil Religion als Bereich eines möglichen zu ehrenden gesellschaftlichen Engagements in der Ausschreibung der Bezirksmedaille erwähnt wird. Das ist doch ein abstruses Beispiel und vor allem eine Verkennung der kulturellen Dimension und Prägekraft des Religiösen.
Seh ich ein. Ist das schonmal vorgekommen? Ich mutmaße einmal, daß dem nicht so ist und daß auch keiner auf die Idee gekommen wäre, das zu machen…
Dem stimme ich voll zu. Deshalb kritisier ich diese Parole auch meist, wo sie mir begegnet. Religion ist genausoviel Privatsache wie Politik. Aber Politik darf im öffentlichen Raum stattfinden. Dann aber bitte auch Religion. Dann ist sie aber öffentlich, also keine Privatsache.
Ja, den Eindruck hab ich auch. Die Piraten haben zwar auch viele Religiöse in ihren Reihen, sogar Pfarrer, aber das wirkt sich noch nicht aus. Diese Inkompetenz ist es auch, die mich am meisten zweifeln läßt, die Piraten zu wählen. Ich hab mir vorgenommen, sie zu wählen, bis sie etabliert sind. Weil sie wichtige Themen vertreten. Aber dann muß ich es mir bei derzeitigem Stand noch einmal ganz neu überlegen (gut, auf die eine Stimme sind sie auch wirklich nicht angewiesen).
Eine Ausdrucksform dieser Inkompetenz ist es IMHO, daß sie es bisher nicht für nötig erachtet haben, auf Kirchentage zu kommen, obwohl dort durchaus auch andere religionskritische Parteien zugegen sind. Die Scheuklappen verhindern hier, ihre Themen zu vertreten und das vor einem Publikum, das mehr als interessiert wäre. Ohne Kirchentag ist auch die Friedensbewegung kaum zu denken, der hatte wohl auch eine kleine Rolle gespielt beim Aufstieg der Grünen. Obwohl auch die religionskritisch drauf waren und sind. Aber sie konnten und können darüber auch hinwegsehen.
Es stimmt nicht, dass die Piraten nicht auf Kirchentage kommen. Beim evangelischen Kirchentag in Hamburg vor ein paar Monaten hat der Hamburger Kandidat Sebastian Seeger an einer Podiumsdiskussion teilgenommen. Außerdem haben die Hamburger Piraten vor der Universität drei Tage lang einen Infostand zum Thema Trennung von Staat und Kirche betrieben, wo wir auch mit vielen Kirchenmitgliedern gut ins Gespräch gekommen sind. (Abgesehen von demjenigen, der meinte, man müsste uns erschießen oder aufhängen. 😉 Ein zentralerer Ort, näher dran am Kirchentagsgeschehen, wurde uns vom zuständigen Bezirksamt Mitte leider nicht genehmigt.
Leider haben die großen Religionen in Berlin einen missionarischen Charakter, weshalb diese im Vergleich mit dem Politischen einer Parteienwerbung im öffentlichen Raum gleichkommen und nicht primär dem öffentlichen Wohl dienen.
Jeder kann gerne an ein höheres Wesen glauben, aber bitte nicht die Öffentlichkeit damit belästigen – dafür ist der private Freundeskreis da.