Ahoi,
Rolf Schümer hat sich die Mühe gemacht und eine interessante Analyse der Wahlen im letzten Jahr gemacht.
Diese will ich Euch nicht vorenthalten.
Danke Rolf!
Analyse der BVV-Wahlen nach Stimmbezirken Friedrichshain-Kreuzberg
Die Auswertung der BVV-Wahlen 2011 nach Stimmbezirken ist für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg besonders interessant und auch nicht einfach, da sich hier sehr unterschiedliche Milieus mit sehr unterschiedlicher Wählerschaft befinden. Das betrifft nicht nur die Ost-West-Teilung, sondern auch Unterschiede innerhalb der alten Stadtbezirke Friedrichshain und Kreuzberg.
Aus der Analyse der Wählerschaft in den Stimmbezirken zum einen und dem Abschneiden unserer Partei zum anderen lassen sich jedoch Schlüsse ziehen, mit welchem politischen Profil die Piraten wahrgenommen und gewählt wurden. Sind wir Partei der Wechselwähler oder Protestpartei? Auch wenn wir selbst das übliche Links-Rechts-Schema ablehnen, in den Köpfen der meisten Wähler ist es präsent, wo werden wir da verortet?
PIRATEN IN KREUZBERG:
Im Vergleich zu 2006 stagnierten die Grünen auf hohem, die Linke auf niedrigem Niveau, die SPD verlor 6, die CDU 2,5 Prozentpunkte. Die Wahlbeteiligung lag bei 56%. Die Piratenpartei erreichte 12,5%.
In einigen Stimmbezirken erzielten wir Ergebnisse über 15%. Diese liegen vor allem im Bereich des alten Postzustellbezirks SO36. In diesem Teil Kreuzbergs sind viele Mieter- und Stadtteilinitiativen aktiv, wehren sich die Bewohner gegen die zunehmende Gentrifizierung. Die Grünen büßten dort Stimmen ein, wahrscheinlich weil sie als quasi Regierende abgestraft wurden. Bei den Wahlen 2006 hatte die WASG in diesem Bereich Ergebnisse zum Teil über 10%. Viele ehemalige WASG-Wähler haben uns gewählt. Die Wahlbeteiligung nahm hier in Vergleich zu 2006 um bis zu 8 Prozentpunkte zu.
PIRATEN IN FRIEDRICHSHAIN:
Im Vergleich zu 2006 verlor die SPD 4, die Linke 7,3 Prozentpunkte, die Grünen gewannen 3,5 Punkte hinzu. Die Wahlbeteiligung lag bei 60%. Die Piratenpartei erzielte 16%.
In unseren Hochburgen in Friedrichshain (über 20% in 13 Stimmbezirken) gibt es zwei unterschiedliche Tendenzen:
In unserem Wahlkampfschwerpunkt rund um den Boxhagener Platz verloren deutlich SPD und Linke. Aber die Verluste reichen in der Addition nicht zur Erklärung der Stimmengewinne für uns und die Grünen aus. Die Wahlbeteiligung 2011 lag hier im Durchschnitt um 3 Prozentpunkte höher als die von 2006. Hier wurden offensichtlich viele Nichtwähler, aber auch Erstwähler gewonnen.
Im Gebiet um das Ostkreuz, das stärker von alternativen Projekten und Initiativen geprägt ist, erreichten wir ebenso hohe Ergebnisse, aber hier büßten die Grünen ein.
Hier bestätigt sich die Tendenz aus Kreuzberg: Wo alle etablierten Parteien, einschließlich der Grünen verlieren, ihre Verluste aber nicht unseren hohen Gewinn erklären können, stieg die Wahlbeteiligung, wir haben Nichtwähler mobilisiert und ehemalige WASG-Wähler.
DIE ANDEREN UND WIR
Im für die CDU besten Stimmbezirk (über 15%), der fast ausschließlich aus Eigenheimbebauung besteht und in Friedrichshain liegt, liegen lediglich wir und die Grünen sehr deutlich unter unseren Durchschnittswerten. Bei Linke und SPD ist das nicht der Fall. Dasselbe gilt für Stimmbezirke in Kreuzberg mit einem hohen Anteil von Wählern mit Migrationshintergrund, Senioren und geringer Wahlbeteiligung.
In den Hochburgen der SPD (über 30%) bestätigt sich diese Tendenz, hier liegen CDU und Linke über ihren Durchschnittswerten, Grüne und wir darunter.
In den Hochburgen der Linken (über 35%) in Friedrichshainer Stimmbezirken bleiben wir und die Grünen ebenfalls deutlich unter anderswo erreichten Prozenten.
Die höchsten Ergebnisse für die Grünen (über 50%) gab es in Kreuzberger Stimmbezirken im alten Postzustellbezirk 61. Dort war die höchste Wahlbeteiligung. Die Gebiete sind von vorangeschrittener Gentrifizierung geprägt, viele Mietwohnungen wurden bereits in Eigentum umgewandelt. Trotzdem erreichen wir hier fast unseren Durchschnitt oder liegen leicht darüber, kommen zusammen mit den Grünen auf über 60% der Stimmen. CDU und Linke sind bei 5-6 Prozent, die SPD bei 17%. Im Vergleich zu 2006 konnten die Grünen in ihren Hochburgen noch zulegen, nicht jedoch im Bereich SO36.
Die SPD hatte in ihren Kreuzberger Hochburgen im Vergleich zu 2006 auch ihre größten Verluste (- 7 Punkte), sie verlor aber auch in allen anderen Wahlkreisen erheblich, sie ist der eigentliche Verlierer der Wahl.
In Friedrichshain fielen die SPD-Verluste geringer aus, hier ließ die Linke Federn, mit minus 10 Prozentpunkten die größten Verluste in ihren alten Hochburgen, sie verliert aber auch insgesamt in Friedrichshain deutlich, sie ist der zweite Wahlverlierer. SPD und Linke bekamen die Quittung für die rot-rote Senatspolitik. In Kreuzberg stagniert die Linke auf niedrigem Niveau.
Von den Verlusten der SPD und der Linken konnten die Grünen am meisten profitieren, sie gewannen 5 Prozentpunkte in deren Hochburgen hinzu, in den anderen Friedrichshainer Stimmbezirken waren die Gewinne nur halb so hoch.
Die Wahlbeteiligung war in Friedrichshain 7 Punkte höher als 2006, in Kreuzberg stieg sie nur um 4,5 Punkte. Offenbar haben wir weniger von Wechselwählern der SPD und Linken profitiert als die Grünen. Unsere Hauptzuströme scheinen aus dem Bereich der Nichtwähler, ehemaligen WASG- und Grünen-Wähler zu kommen.
In unseren besten Stimmbezirken erzielten auch die Grünen überdurchschnittliche Ergebnisse. Liegt es daran, dass hier auch die Verluste von SPD und Linke am höchsten waren oder liegt es an den inhaltlichen Schnittmengen, die zwischen uns und den Grünen im Vergleich zu den anderen am größten sind? Wir erreichen mit den gleichen Themen die gleichen Wähler, der wichtige Unterschied liegt nicht im Inhalt, sondern in der Frage, wie konsequent und mit welchen Ideen und Methoden man sich dafür einsetzt. Die Grünen werden in den Stimmbezirken, wo das bunte Leben tobt, ob in der Freizeit oder in der Politik (vom Kiffen bis zum Häuser besetzen) eher als Etablierte wahrgenommen, wir nicht. Dort, wo mehr die grüne Klientel zu Hause ist bzw. durch Zuzüge sich vergrößerte, in Kreuzberg 61, haben die Grünen ihre Stammwählerschaft ausbauen können, aber nicht im Bereich SO36.
UNSER PROFIL
Nach diesen Ergebnissen wurden wir als Partei wahrgenommen, die vor allem viele Nichtwähler zur Stimmabgabe motivieren konnte (die sich vorher von keiner Partei vertreten fühlten) und von Wählern, die uns im herkömmlichen Links-Rechts-Schema als links von CDU/SPD/LINKE/GRÜNE in dem Sinn verorten, weil sie sich von allen anderen durch gebrochene Versprechen und typisches Politiker-Verhalten ge- und enttäuscht empfinden.
Unter Berücksichtigung der jeweiligen sozialen und politischen Zusammensetzung der Wählerschaft in den Stimmbezirken haben wir mit folgenden inhaltlichen Aussagen punkten können:
- Mehr soziale Gerechtigkeit – für ein bedingungsloses Grundeinkommen
- Mehr direkte Demokratie – Bürgerbeteiligung und Transparenz
- Für alternative Wohn- und Lebensweisen – gegen Gentrifizierung
- Solidarität mit Hausbesetzern und Antifaschisten – gegen Behördenwillkür und Reglementierungen durch Polizei und andere staatlichen Organe
Damit haben wir ein Profil, das von Protest gegen bestehende Machtstrukturen und Politikverständnis bestimmt ist, das auf die Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse zielt, um den Bürgern, die bisher von den gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen weitgehend ausgeschlossen sind, mehr Einflussmöglichkeiten zu verschaffen.
Wir stehen nicht nur für die Veränderung der Methoden, sondern auch für Inhalte, die im alten Schema eindeutig als links zu betrachten sind. Interessant ist die Frage, inwieweit in anderen Berliner Bezirken ähnliche oder andere Ergebnisse bei einer Wahlanalyse erkennbar sind.